3. Memoiren zweier Jungvermählter (1841/42)

Szenen aus dem Privatleben

By Adrien-Moreau - Honoré de Balzac,
Memoirs of Two Young Wives.
Philadelphia: George Barrie
Diese Geschichte aus dem Jahre 1842 ist von Balzac als Briefroman angelegt. Die Briefe sind zwischen den Jahren 1823 und 1835 hauptsächlich von Louise de Chaulieu (1805–1835) und Renée de Maucombe (geb. 1807) verfasst. Diese beiden jungen Frauen haben sich während ihrer Jungmädchenzeit als Novizinnen in einem Karmelitinnen-Kloster kennengelernt und sind Busenfreundinnen geworden. Nach dem Weggang aus dem Kloster verlaufen ihre Lebenswege sehr unterschiedlich. Während Louise einen durch Leidenschaft geprägten romantischen Lebensweg einschlägt, gestaltet sich der Weg von Renée eher bieder und pragmatisch berechnend.

Von Louise wird erwartet, dass sie sich für ihre beiden Brüder opfert und Nonne wird. Ihre im Sterben liegende Großmutter setzt sich aber für sie ein und vererbt ihr ein Vermögen. Damit stellt sie sie finanziell auf eigene Füße. Durch diese Wendung in die Lage versetzt, ihre Brüder weiter zu unterstützen ohne selbst ihre Unabhängigkeit aufzugeben, lässt Louise sich in Paris nieder. Sie stürzt sich in das Pariser Kulturleben mit italienischen Opernaufführungen und Maskenbällen. Sie verliebt sich in den unansehnlichen, aber adligen Spanier Felipe Hénarez, Baron de Macumer. Aus Spanien nach dem Interventionskrieg 1823 verstoßen, lebt dieser anonym in Paris und verdient sich seinen Lebensunterhalt mit Spanischunterricht. Nachdem er sein Vermögen und Ansehen wiedererlangt hat, wirbt er mit aller romantischen Leidenschaft um die Hand von Louise. Eifersüchtig wacht Louise über die Reinheit und sklavische Ergebenheit ihres Verehrers. Die beiden heiraten im März 1825. Sie leben ein sorgenfreies und glückliches Leben, bis die krankhafte Eifersucht von Louise ihren Ehemann so sehr zusetzt, dass er daran zusammenbricht. Felipe stirbt vier Jahre nach ihrer Hochzeit und hinterlässt eine trauernde Witwe von 24 Jahren.

Renées Haltung zu Leben und Liebe steht in deutlichem Kontrast zu der von Louise. Nachdem sie das Kloster verlassen hat, geht sie zurück zu ihren Eltern in die Provence. Dort geht sie ohne große Leidenschaft eine Vernunftehe mit dem 37-jährigen Louis de L’Estorade ein, einen gezeichneten Kriegsheimkehrer des Napoleonischen Russlanddebakels, der weder über größeren Wohlstand noch Ansehen verfügt. Sie hat ihren Mann vollständig unter ihrer Kontrolle und gebärt ihm drei Kinder.  Sie widmet sich in den folgenden zehn Jahren mit aller Kraft dem Glück der Familie. Allmählich gewinnt sie ihren Mann auf ihre Weise lieb. Durch ihr Engagement ermöglicht sie es ihrem Mann in der Lokalpolitik Karriere zu machen. Diese Karriere gipfelt für ihren Mann darin, dass er zum Pair von Frankreich ernannt und in die Ehrenlegion aufgenommen wird. In dieser Zeit spart Renée in ihren Briefen nicht mit beißender Kritik am Egoismus und zügellosen Leben ihrer Freundin Louise. Sie prophezeit ihrer Freundin kein gutes Ende. Nach Renée liegt das wahre Glück in der Mutterrolle und Hingabe zur Familie („… mir hat sich die Familie in ihrer Heiligkeit und Stärke gezeigt.“

Vier Jahre nach Felipes Tod hat Louise mittlerweile eine neue Liebe gefunden, den um einige Jahre jüngeren, armen Poeten und Stückeschreiber Marie Gaston. Als wenn sie sich Renées Kritik zu Herzen nimmt, verkauft Louise ihre Anwesen und lebt mit ihm in aller Abgeschiedenheit in einem kleinen, luxuriös ausgestatteten Chalet nahe Paris. Aber Renée lässt sich von diesem äußerlichen Lebenswandel  nicht täuschen und wirft ihr weiterhin vor, ein selbstbezogenes Leben zu führen, ohne für andere Verantwortung übernehmen zu wollen. Wieder spielt sie Orakel und äußert ihre Befürchtungen. Louise ahnt auch bereits, dass ihr Glück und Leben nur von kurzer Dauer sein wird. Auch die Kinderlosigkeit macht ihr zu Schaffen.

Nach einigen Jahren scheinbarer Glückseligkeit, stellt Louise fest, dass Marie Paris geheime Kurzbesuche abstattet und wieder intensiv an seinen Bühnenstücken arbeitet. Gleichzeitig fehlt eine größere Summe Geldes. Offensichtlich benötigt er Geld. In ihrer krankhaften Eifersucht verdächtigt Louise Marie eine kostspielige Geliebte zu besitzen. Bei ihren Nachforschungen stellt sie erschreckend fest, dass er noch eine andere Familie in Paris zu unterhalten hat. Es handelt sich um eine englischstämmige Frau,  bekannt unter dem Namen Madame Gaston, und ihre zwei Kinder, die auffallend Marie ähneln. Louise offenbart ihre Gefühle und Verzweiflung Renée. Sie kündigt ihren Freitod an. Der Ehemann Renées zieht darauf Erkundigungen ein und bestätigt die Situation. Madame Caston ist die Witwe von Louis Gaston, Maries Bruder. Der Tod ihres Ehemanns hat Madame Caston mittellos zurückgelassen. Marie fühlt seit dieser Zeit verpflichtet, ihre verwitwete Schwägerin mit den Kindern finanziell zu unterstützen, schämt sich aber, Louise um Geld zu bitten. Renée schreibt Louise umgehend, um ihr die Wahrheit mitzuteilen und eilt zum Haus Louise. Aber es ist bereits zu spät. Louise hat sich ungeschützt der Kälte und Feuchtigkeit der Nacht ausgesetzt und weiß, dass sie sterben wird. Sie erkennt ihre Fehleinschätzung und söhnt sich mit ihrem Schicksal und ihren Angehörigen aus. Sie stirbt an Auszehrung wenige Tage später.

Balzac entwirft in diesem Briefroman aus dem Jahre 1841/42 zwei vollständig gegensätzliche Lebensmodelle. Dem erfüllten Leben von Renée de Maucombe als Mutter im Dienst der Familie stellt er das leidenschaftlich romantische Liebesleben ihrer Freundin Louise de Chaulieu gegenüber. In dieser polaren Sittenstudie arbeitet Balzac detailliert die Eigenschaften der Lebensmodelle mit all ihren Vor- und Nachteilen heraus. Auch wenn das Thema aus heutiger Sicht wenn nicht überholt so doch stark angestaubt wirkt, ist Balzacs Klarheit der Analyse, die bis zum Grunde vorstößt, trotz ihrer Detailgenauigkeit bemerkenswert. Dabei hält er aber auch mit Kritik an seiner Zeit nicht hinterm Berg. Sein Plädoyer in Person von Renée für eine Erziehung ohne Amme und Internat traf in seiner Zeit bei vermögenden Familien sicherlich nicht unbedingt auf Zustimmung. Welche Seite Balzac selber für sein Leben den Vorrang gab, bleibt unklar. Die Leidenschaft war lebenslänglich sein Lebensmodell, und leidenschaftlich auf ihre Art sind beide Hauptfiguren. Den romantisch-leidenschaftlichen Lebensweg Louise lässt Balzac am Ende allerdings tragisch scheitern.

„Von uns beiden verkörpere ich ein wenig die Vernunft wie du die Phantasie; ich bin der ernste Pflicht wie du die tollköpfige Liebesgottheit“. (Renée)   

“Viel Philosophie und wenig Liebe, das ist deine Diät; viel Liebe und wenig Philosophie, das ist die meine.“ (Louise)

(237 Seiten)

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