4. Die Börse (1832)

Szenen aus dem Privatleben


By Georges Caïn - Honoré de Balzac, 
The Purse. Philadelphia: George Barrie & Son,
1897, Public Domain
Beim Betrachten eines Bildes in seinem Atelier fällt der junge Maler Hippolyte Schinner von der Leiter. Vom Lärm des Sturzes alarmiert, kommen zwei Nachbarinnen dem Bewusstlosen zur Hilfe, die junge Adélaïde Leseigneur und ihre Mutter Madame de Rouville. Beide bewohnen die Wohnung unter ihm. Hippolyte verliebt sich in die Tochter. In den folgenden Wochen besucht er sie mehrmals in ihrer Wohnung. Er wird immer freundlich aufgenommen, kann aber die Anzeichen der Armut, die getarnte Not, nicht übersehen. Hippolytes Argwohn ist geweckt. Mutter und Tochter haben verschiedene Nachnamen und scheuen davor zurück, etwas aus ihrer Vergangen-heit preis zu geben. Keinen Reim kann er sich auch machen aus zwei alten Freunden der Mutter, Graf von Kergarouet und seinem Begleiter Chevalier von Halga, die regelmäßig zu Besuch kommen. Insbesondere der Graf pflegt offensichtlich ein vertrauliches Verhältnis mit Adélaïde und verliert beim gemeinsamen Kartenspiel regelmäßig Geld an ihre Mutter.

Hippolyte erfährt, dass der späte Ehemann von Madame de Rouville als Kapitän zur See fuhr und in Asien beim Gefecht mit einem englischen Kriegsschiff an seinen Wunden verstarb. Es stellt sich heraus, dass Graf von Kergarouet ein ehemaliger Kamerad von Baron de Rouville war. Aus Anteilnahme schlägt Hippolyte vor, von einer alten, verblassenden Porträtskizze des Barons de Rouville, die in der Wohnung hängt, eine Farbgemälde anzufertigen. Als das fertige Bild zwei Monate später als Geschenk übergeben wird, ist Madame de Rouville tief ergriffen und gerührt, Der Graf von Kergarouet bietet die hohe Summe von 500 Pistolen dafür, dass Hippolyte ein ähnliches Porträt von ihm anfertigt. Hippolyte lehnt ab, weil er misstrauisch ist und vermutet, dass der Graf den beiden Frauen einen Gefallen erweisen will und damit beide Bilder bezahlen will.

Trotz des Umstands, dass die beiden Frauen ihren Lebensunterhalt auf so seltsame und unehrenhafte Weise verdienen, besucht Hippolyte aus tiefer Liebe zu Adélaide die beiden weiterhin. Eines Tages als er deren Wohnung verlassen hat, stellt es fest, dass er seine Geldbörse versehentlich zurückgelassen hat. Bei der Rückkehr in die Wohnung behauptet Adélaide dreist, dass sie von keiner Geldbörse wisse. Der junge Mann vermutet, dass sie von den beiden gestohlen wurde und stellt verwirrt darauf hin die Besuche ein. Über die folgenden Wochen leidet er zunehmend unter seinem Beschluss. Seine Freunde scheinen seine ärgsten Befürchtungen zu bestätigen, nämlich, dass Adélaide eine Prostituierte und ihre Mutter ihre Zuhälterin ist. Diese Schlussfolgerung deutet Balzac nur an, ist aber deutlich erkenntlich.

Ein zufälliges Aufeinandertreffen lässt die Liebe aber neu entflammen. Madame de Rouville schlägt vor, Karten zu spielen. Hippolyte verliert. Als er in seine Tasche nach Geld greift, liegt vor ihm eine Geldbörse, die Adélaide, ohne dass er es bemerkte dort hingelegt hat. Sie hält seine eigene leere Börse in der Hand. Die neue Geldbörse als Ersatz für die alte ist mit vergoldeten Perlen verziert, die aus ihrem geheimen Schatzkästchen stammen. Zudem enthält die neue Börse die von Hippolyte vermisste Geldsumme. Für Hippolyte zeugen die Verzierungen für den guten Geschmack Adélaides. Überwältigt von dieser Art, ihre Dankbarkeit und Liebe zu zeigen, hält Hippolyte noch an diesem Abend um die Hand Adélaides an.

Mittlerweile hat sich Madame Schimmer über den Zustand ihres Sohnes und die Umstände informiert. Sie kontaktiert Graf von Kergarouet und konfrontiert ihn mit den boshaften Gerüchten über die beiden Frauen. Außer sich, teilt der Graf ihr mit, dass er absichtlich beim Kartenspielen verliert, weil es nur so unter Wahrung der Würde der alten Frau möglich war, sie und ihre Tochter in ihrer Armut zu unterstützen.

Der Graf von Kergarouet und Madame Schinner machen sich auf zur Wohnung von Madame de Rouville. Sie treffen gerade rechtzeitig ein, um dem jungen Glück beizuwohnen.

Diese kleine Erzählung trägt stark romantische Züge und spielt mit oft bei Balzac wiederkehrenden Themen; die Liebe zu einer edlen Seele, die von der Außenwelt verleumdet und ausgenutzt wird, um am Ende zu triumphieren oder zu scheitern. Aufbau und Umfang der Handlung hätte Gelegenheit für ein umfangreicheres Werk geboten. Hier arbeitet Balzac die Charaktere nicht in dem Maße heraus, wie in vielen anderen Werken. Aber „Die Börse“ bleibt trotzdem unverkennbar Balzac.

„Es war um das Gesicht der alten Dame ebenso bestellt wie um die Wohnung die sie innehatte: es war sehr schwer herauszubekommen, ob das Elend Laster oder hohe Ehrbarkeit deckte, und nicht leicht zu erkennen, ob Adelaides Mutter eine alte Kokette war, die die Gewohnheit hatte, alles zu erwägen, alles zu berechnen, alles zu verkaufen, oder eine liebende Frau voller Noblesse und von liebenswerten Eigenschaften.“

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