17. Die Verlassene (1832)

Szenen aus dem Privatleben

Im Frühjahr 1822 wird der junge Pariser Baron Gaston deNueil seiner Gesundheit wegen in die Nieder-Normandie geschickt. Er verbringt seine Zeit in Bayeux nahe seiner Familie in einem lokalen und engstirnigen aristokratischen Milieu. Schon bald fängt er an, sich in dieser Gesellschaft tödlich zu langweilen. Dort hört er von der Marquise de Beauséant. Nach einer unglücklichen außerehelichen Liaison mit dem Marquis d'Ajuda-Pinto, lebt sie allein und zurückgezogen in ihrem Schloss in Courcelles. Alle Einladungen ablehnend und nur selten Besuch empfangend, hat sie sich von der Welt isoliert. Ihr mysteriöser Charakter und Mutmaßungen über ihre amourösen Abenteuer verleihen ihrer Person ein skandalumwittertes Ansehen. Gaston fühlt sich angezogen von dieser berühmten dreißigjährigen Marquise, von der alle Welt spricht, die man aber niemals zu Gesicht bekommt. Dank eines Mittelsmanns gelingt es ihm unter einem Vorwand von ihr empfangen zu werden. Gaston ist sofort hingerissen von der lebenserfahrenden älteren Frau. Die Marquise empfängt ihn zwar kühl, wendet aber ihren ganzen Charme auf, dem der junge Gaston völlig erliegt. Sie dagegen widersteht mit eleganter Stärke den naiven Liebesbezeugungen des jungen Mannes. Nach mehreren wechselseitigen Briefwechseln reist sie nach Genf ab, um ihn auf die Probe zu stellen. Gaston folgt seinem Liebesschwur und reist ihr nach Genf nach. Überzeugt von seiner Hingabe zu ihr, verbringen die zwei Geliebten in der Folge neun unbeschwerte Jahre miteinander, drei davon am Genfer See. Es wird für die Marquise möglich, die Schrecken ihrer Vergangenheit in dieser Zeit zu vergessen.

Das Paar kehrt nach Frankreich zurück, weil Gaston sich gezwungen sieht nach dem Tod seines Vaters und älteren Bruders Erbschaftsprobleme zu regeln. Seine tugendhafte Mutter, die es immer abgelehnt hat, die Herzogin zu sehen, hat für Gaston eine blasse, aber vermögende junge Frau als Ehefrau vorgesehen. Die Marquise erkennt das Dilemma und stellt Gaston in ihrer ganzen Liebe und Verzweiflung mit einem Brief neuerlich auf die Probe. Sie wägt darin rationale (d.h. Altersunterschied, gesellschaftliche Akzeptanz und die finanzielle Absicherung) gegen emotionale Gründe ab und hofft, dass sich Gaston damit klar für das Gefühl und damit für sie entscheidet. Sie sieht sich aber enttäuscht. In seiner Naivität und Schwäche schreibt er ihr als Antwort, dass noch nichts entschieden sei. Diese Reaktion enthält für sie das klare Bekenntnis, dass er den gesellschaftlich akzeptierten Lebensweg einzuschlagen gedenkt.Tief gekränkt und verletzt sagt sie sich, nachdem sie ihn mit seinen eigenen Versprechungen aus früheren Briefen konfrontiert hat, von Gaston los und zieht sich allein in das gemeinsam erworbene Schloss Valleroy zurück. Gaston heiratet der Wahl seiner Mutter gehorchend die vermögende Demoiselle de La Rodière. Wieder einmal ist die Marquise de Beauséant verlassen worden. Weise und vorausschauend hatte die Marquise diese Entwicklung in einer ihrer früheren Briefe ihm bereits prophezeit.

Gaston, der bald einsieht, dass er die Leidenschaft gegen die Langeweile einer bourgeoisen Lebensweise eingetauscht hat, versucht wieder mit ihr in Kontakt zu treten. Aber vergebens. Nachdem er der Monotonie seiner Ehe entflohen ist und feststellen muss, dass die Marquise de Beauséant in ihrer Verzweiflung eher mit Selbstmord droht, als ihn anzuhören, erschießt er sich angesichts der Erkenntnis in seinem eigenen Haus.

Die Vorgeschichte der Marquise de Beauséant und der Hintergrund für diese Erzählung  bildet  im übrigen "Père Goriot". "La Femme abandonée" war eine der Erzählungen, die Marcel Prost angeblich sehr geschätzt haben soll.

(47 Seiten)

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